Herbstlicher Schaulauf in Buenos Aires

Buenos Aires versprüht im Herbst einen ganz besonderen Charme. Die langen Tage der lähmenden Hitze sind vorbei, das Rattern und Tropfen der Klimaanlagen lässt nach. Und während sich auf den Straßen allmählich ein bunter Blätter-Teppich zur Ruhe legt, wappnet sich die argentinische Hauptstadt für die herbstliche Modenschau.

Fundstück am Río de la Plata, was der Fluss so alles anspült...
Fundstück am Río de la Plata, was der Fluss so alles anspült...

Herbst in Buenos Aires - die polare Kälte kündigt sich an

Undurchdringliche Nebelschwaden liegen schwer und reglos über der Stadt. Kugelrunde Regentropfen, die sich lustlos aus dem tristen Grau verabschieden, werden kaum merkbar zu Eis und Schnee. Eiskristalle am Fenster begrüßen den Morgen.

Wer mit dem Auto zur Arbeit fährt, muss sich in der tiefen Dunkelheit aus dem Bett schälen, um die Scheiben freizukratzen.

Die kalte Luft schmerzt beim Einatmen wie tausend kleine Nadelstiche. Beim Ausatmen wiederum versteckt sich das Gesicht hinter einer undurchdringlichen weißen Wolke.

 

Es ist wieder soweit, Buenos Aires im Mai. Die polare Kälte hält Einzug, umklammert die argentinische Hauptstadt mit ihren scharfen Krallen, als wollte sie diese niemals wieder loslassen. 

 

So zumindest kommt es einem vor, jedes Jahr Ende Mai...

Ende Mai: die polare Kälte hält Einzug in Buenos.... Ach nee, das war ja in Deutschland!
Ende Mai: die polare Kälte hält Einzug in Buenos.... Ach nee, das war ja in Deutschland!

„15 Grad und auf der Straße könnte man meinen, man wäre in Patagonien angesichts der Klamotten“, schreibt mir vor ein paar Tagen ein Freund, ebenfalls Deutscher, der wie ich seit vielen Jahren in Buenos Aires lebt, und weiter: „jedes Jahr denke ich dann aufs Neue, ob es nicht auch ein bisschen Modenschau ist, die schicken Schals, die teuren Mäntelchen...“

Bühne frei für Daunenjacke & Fellstiefelchen

Wenn du meinen Artikel über das „argentinische Spanisch“ gelesen hast, wirst du wissen, dass die Kunst der Übertreibung tiefe Wurzeln in der argentinischen Kultur geschlagen hat.

Das wird in jenen Tagen im Jahr, in denen die schwüle Hitze nachgelassen, die winterliche Kälte aber noch nicht so recht angekommen ist, deutlich. 

Sichtlich erfreut, vielleicht etwas zu euphorisch, blicken die porteños dem Winter entgegen.

 

Die Gehsteige werden zu Laufstegen der besonderen Art, denn der herbstliche Schaulauf hat begonnen.

 

Endlich können die eleganten Fellstiefel ausgeführt werden, die man schon im Sommer gekauft und jeden Tag sehnsüchtig angeblinzelt hat. Endlich kommen die dicke Wollmütze und der farbenfrohe Wollschal zum Einsatz. Die passenden Handschuhe sind natürlich auch mit von der Partie. Und dann erst dieser Wintermantel! Der neueste Schrei! Wärmt mit Sicherheit hervorragend bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt.

...Die wir auch in diesem Jahr nicht erleben werden.

Aber sich doch bitte einmal etwas „nordisch“ fühlen dürfen! Kleidung auf der Haut tragen können, die zwar nicht für diese Temperaturen gemacht, aber einfach totschick ist!

Ist das Übertreibung oder ist es den Menschen wirklich so kalt, frage ich mich, während ich im leichten Pullover den wolkenfreien Himmel und die warmen Sonnenstrahlen genieße?

15 Grad! Zu diesen Temperaturen passen ja noch nicht mal die Mandarinen, die es jetzt überall zu kaufen gibt! Von Handschuhen ganz zu schweigen.

Um dieser Sache auf den Grund zu gehen, frage ich „Fellstiefelträger“ in meinem Freundes- und Bekanntenkreis danach. Die Antwort: 50 / 50. Viele Frauen geben zu, dass sie die Wintermode einfach so bezaubernd finden, und so etwas auch gerne mal tragen möchten. Anderen frieren wohl tatsächlich fast die Finger ab. Machen sich aber wiederum über die Brasilianer lustig, die bei zwei Grad mehr bereits zu Handschuhen und Schal greifen.

Wer hält mehr Kälte aus? Wenn das der Wettbewerb im Herbst ist, liebe porteños, dann habt ihr leider schon verloren! ;-)

Herbst in Buenos Aires
Herbst in Buenos Aires

Keine Sandalen im April! Eine Prinzipiensache!

Vor vielen Jahren ging ich an einem der letzten sommerlich warmen Tage Ende April in Sandalen zur Arbeit. Ganz schlechte Idee! Meine Kollegen blickten mir ungläubig entgegen.

Die Deutsche wieder, versteht nicht, dass der Sandalen-Sommer passé ist!

 

Eine Kollegin nahm mich zur Seite. „Wir tragen im April keine Sandalen mehr, egal, wie das Wetter ist, das ist eine Prinzipiensache. Der Sommer hier ist lang, und im April haben wir keine Lust mehr auf Hitze. Sandalen, Rock und Sommertop, das tragen im April nur die Touristen.“

 

Sollte ich diesem Ratschlag folgen und meinen Füßen bei 20 Grad Frischluft verwehren, nur weil der Kalender den 28. April anzeigte?

Ich habe es ausprobiert, nicht für gut empfunden, und bin zu dem Schluss gekommen, meine Kleidung nach wie vor dem tatsächlichen Wetter anzupassen und mir nicht vom Kalender vorschreiben zu lassen, was diesen oder nächsten Monat getragen werden muss.

Aber eines muss man den modebewussten argentinischen Frauen neidlos zugestehen: Egal ob auf dem Meeresbrisen-Catwalk in Mar del Plata im Januar oder auf dem polaren Herbst-Catwalk in Buenos Aires im Mai – sie können sich wirklich sehen lassen!

Herbst am Río de la Plata
Herbst am Río de la Plata

Mai 2021, kurzes Covid-Update

Buenos Aires, Ende Mai 15 Grad. Aus dem wolkenfreien Blau lacht die Sonne mit noch angenehm wärmender Kraft. Die Bäume werden zu Verwandlungskünstlern, alles riecht bunt. Unser Radius beschränkte sich lange Zeit nicht wie letztes Jahr auf 44 Quadratmeter.

 

Diese ersten Herbsttage verbrachte ich vor allem in der Reserva Ecológica, dankbar darüber, Frischluft und Natur atmen zu dürfen. Den diesjährigen Schaulauf bekam ich daher nur am Rande, auf meinem Weg dorthin, mit. Denn in meinem Viertel San Telmo sind – wie wahrscheinlich überall in dieser Stadt – zu viele Menschen auf zu engem Raum unterwegs.

 

"Seit Wochen bewegt sich die Zahl der täglichen Neuinfizierungen zwischen 24.000 und 26.000. Außer einer nächtlichen Ausgangssperre gibt es relativ wenig Einschränkungen. Auch in Cafés und Restaurants im Freien dürfen wir uns nach wie vor treffen.

Es liegt daher an jedem Einzelnen, verantwortungsbewusst mit dieser wackeligen Freiheit umzugehen.

 

Ich habe mich nach über einem Jahr ein paar Mal mit den wichtigsten Freunde und den Schwiegereltern getroffen, um nicht wieder der Lethargie der Einsamkeit zu verfallen wie letztes Jahr, schränke mich allerdings auch bewusst weiterhin ein.

 

Solange die Reserva geöffnet bleibt, gibt es keinen Grund, dass es mir so schlecht geht wie vor einem Jahr. Es gilt, diesen Winter irgendwie zu überstehen. Geimpft wird weiterhin, sofern Impfstoff vorhanden ist, ca. 18 % der Argentinier haben die Erstimpfung erhalten.

Das schürt Hoffnung auf ein weiteres, größeres Stückchen Normalität im kommenden Frühjahr."

 

Diese Zeilen schrieb ich letzte Woche. Nun hat sich doch alles geändert. Seit Samstag tummeln wir uns wieder in unseren Wohnungen herum. AUSGANGSSPERRE! Wir dürfen das Haus nur für dringende Einkäufe verlassen und uns ausschließlich in unmittelbarer Nähe, d.h. im eigenen Viertel, aufhalten. Diese Beschränkungen gelten vorerst bis Ende Mai.

 

Es ist wieder mucksmäuschenstill in Buenos Aires. Die pulsierende Millionenmetropole hält den Atem an. Ich kann es kaum erwarten, bis sie all die aufgestaute Luft auf einmal ausatmet. Bis dahin versuche ich, bei Laune zu bleiben. Mehr kann man eh nicht tun.

Herbst 2021: Unser Radius beschränkte sich bis vor Kurzem nicht mehr nur auf die eigene Wohnung.
Herbst 2021: Unser Radius beschränkte sich bis vor Kurzem nicht mehr nur auf die eigene Wohnung.

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