November ist ein wunderbarer Monat, um sein Herz an die argentinische Hauptstadt zu verlieren. Verantwortlich dafür ist nicht nur die frühlingswarme Sonne, die noch nicht so erbarmungslos vom Himmel knallt wie im Dezember, sondern auch ein Baum, der sich jedes Jahr pünktlich im November in elegantem Violett-Blau kleidet: der Jacaranda mimosifolia (klingt nicht schon der Name irgendwie poetisch?).

 Jacaranda!

Blau der Himmel,

Frühling!

Blau die Bäume,

Blau der Boden,

Blau die Gehsteige.

(Spanisches Original von Nilda Mileo)

Der Jacaranda- oder Palisanderholzbaum gehört zur Familie der Trompetenbaumgewächse und wächst in subtropischen und tropischen Gebieten. In Buenos Aires blühen im November nach jüngsten Zählungen etwa 18.900 Jacaranda Bäume um die Wette.

Nach dem Plátano (Ahornblättrigen Platane), dem Tilo común (Linde) und dem Fresno Americano (Weiß-Esche), dessen Blätter sich im Herbst leuchtend gelb färben, ist der Jacaranda der meistgepflanzte Baum in Buenos Aires.

Der Baum wurde 2015 zu einem offiziellen Wahrzeichen der Stadt erklärt, obwohl er nicht autochthon ist, sondern ursprünglich aus Argentiniens Nordwesten, Bolivien, Paraguay und Brasilien stammt. Dennoch ist der Jacaranda fester Bestandteil der Geographie und Geschichte der argentinischen Hauptstadt geworden.

Je nach Wetter hält die lilafarbene Blütenpracht etwa vier Wochen an, dann lässt der Baum die 4 bis 5 cm großen Blüten fallen, die fortan die Gehsteige von Buenos Aires schmücken. Der Jacaranda verleiht der Redewendung "sein blaues Wunder erleben" eine völlig neue Bedeutung.

Die Integration des Jacaranda Baumes in die Stadtlandschaft erfolgte Ende des 19. Jahrhunderts durch den französisch-argentinische Landschaftsarchitekten Carlos Thays. Der Direktor für Parkanlagen und Spazierwege ordnete nicht nur die Pflanzung der Jacarandabäume an, sondern gestaltete zahlreiche Parkanalangen in Buenos Aires. Dazu gehört auch der 25 Hektar große Parque Tres de Febrero mit seinem Rosengarten, in dem 18.000 Rosen in den schönsten Farben blühen.

Jedes Jahr werden in den Parkanlagen neue Jacaranda Bäume gepflanzt, denn der Baum ist nicht nur schön anzusehen, sondern bringt gegenüber anderen Bäumen viele Vorteile mit sich, so z.B. sein starker, widerstandsfähiger Stamm und seine nicht invasiven Wurzeln. Er hat keine großen und schweren Früchte, die beim Fallen die Sicherheit der Passanten gefährden könnten. Zudem wächst der Baum schnell und ist langlebig.

Die meisten Jacaranda Bäume in Buenos Aires kannst Du in den Vierteln Palermo, Recoleta und Belgrano bestaunen, insbesondere in der Avenida Del Libertador & Figueroa Alcorta (rund ums Museum Bellas Artes in der Nähe des Friedhofs von Recoleta) sowie in der Av. Cabildo. Aber auch in der "Hafencity" Puerto Madero, der Avenida 9 de Julio und auf der Plaza de Mayo gibt es einige Jacarandabäume - und vereinzelt in der gesamten Stadt.

In diesem Jahr erfreue ich mich ganz besonders an dem violettfarbenen Blütentraum. Denn die letzten Wochen und Monaten in Buenos Aires waren monoton und farblos, von einer gleichgültigen Trägheit geprägt.

Noch vor ein paar Wochen habe ich aus meiner gelangweilten Grundstimmung heraus eine Anti-Liebeserklärung an Buenos Aires geschrieben:

Buenos Aires. Wir haben uns still schweigend irgendwo verloren in den letzten Jahren.

Mir fällt es schwer, deine Schönheit zu erkennen. Acelerado. Hektisch und schnell muss alles sein. Niemand darf das Tempo drosseln. Mit Ausnahme der Touristen (die gerade aber nicht da sind). Entschleunigt wird die Hektik einzig von den Kellnern, die darauf getrimmt sind, Kundenwünsche gekonnt zu ignorieren. 

Ich stürze mich nicht mehr in deine Straßen, Buenos Aires, um dich aufzusaugen mit allen Sinnen. Ich flüchte vor dir, in die Reserva, um zur Ruhe zu kommen, weil du mich aufwühlst, jeden Tag.

Buenos Aires. Du bist eine wunderbare, bewegte und bewegende Stadt. Wenn man dich als Reisender erkundet. Oder 25 ist. Beides ist lange her. Nicht ganz so wunderbar mit Mitte 30, wenn das Tagleben wichtiger ist als die Nacht. Wenn man die Sehenswürdigkeiten tausend Mal gesehen hat und sie nicht mehr mit den Augen eines Durchreisenden betrachtet. Wenn du und der beschleunigte Atem Heimat geworden sind. Weil irgendwo zwischen der nicht gerade zögerlich gefassten Entscheidung, hier zu leben, und heute schleichend 8 Jahre vergangen sind.

All das, wofür du einmal standest, haben Alltag und Pandemie verschluckt. Ich möchte dich gern wieder finden, Buenos Aires, aber ich weiß nicht wie.

Wahrscheinlich hatte ich neben Corona-Blues auch viel zu lange Jacaranda-Abstinenz. Letzten November flüchtete ich mich vor der Quarantäne ins nebelverzauberte Deutschland, das Jahr zuvor bin ich mit einer Reisegruppe durch Patagonien getingelt und 2018, das war kein gutes Jacaranda-Jahr, denn kurz nach dem Aufblühen rasierte ein Sturm die Bäume kahl.

Die Jacaranda Blüte hat alles wieder ins Gleichgewicht gebracht, Buenos Aires ist wundervoll, zumindest in diesem Monat.

Noch mehr Jacaranda- und andere frühlingshafte Blütenwunder findest Du in diesem Artikel.

• Ruinen aus Salz - Carhué & Epecuén
• Kurztrip ins Tigre-Delta
• Ausflug nach Colonia del Sacramento, Uruguay
• Fiesta de la Tradición in San Antonio de Areco