Studieren in Buenos Aires II

Wie mein Auslandssemester an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der UBA war, habe ich Dir hier schon berichtet.

Heute gibt es ein kleines Fazit zum letzten Artikel. Außerdem hat Philipp mir ein paar Fragen zu seinem Studium in Buenos Aires beantwortet.

Auslandssemester an der facultad de filosofía y letras - ein Fazit

Das akademische Niveau ist sehr hoch, die Hierarchien flach, was das Studieren sehr angenehm macht. Während meines Masterstudiengangs in Deutschland hatte ich oft das Gefühl, dass es nur darum geht, mit leeren Fachbegriffen um sich zu werfen. Alles, was schlau klingt, muss raus. Sowohl von Seiten der Dozenten als auch der Studenten.

 

An der UBA ist der Umgangston um einiges lockerer, alle ziehen an einem Strang. Der Dozent ist ein Freund, ein Experte auf seinem Gebiet, aber er beharrt nicht auf seinem Standpunkt. Schwere, sehr theoretische Theorien werden in Alltagssituationen eingebunden, in einem praktischen Kontext diskutiert. Das habe ich in Deutschland immer vermisst.

 

Ich hätte sicherlich noch mehr aus dem Auslandssemester mitnehmen können, wenn ich damals schon besser Spanisch gesprochen und meine Seminare etwas sorgfältiger ausgewählt hätte.

Es war kalt. Sehr, sehr kalt. Und ich nicht genügend informiert.

Ich wusste nicht, dass sich der Winter in Buenos Aires so kalt anfühlt, dass die Straßen von den Regenfällen überschwemmt werden, dass die Heizungen an der Uni nicht funktionieren und die Fenster nicht isoliert sind.

 

Wenn ich heute an Puán denke, dann fühle ich immer noch die Kälte.

Ich sehe mich suchend durch die Gänge irren.

Vier Stunden im Seminarraum zehren an den Kräften.

Was ich an der UBA alles gelernt habe, habe ich erst hinterher richtig begriffen. Während des Semesters war ich zu sehr damit beschäftigt, Bücherläden zu durchstöbern.

 

Diese acht Monate an sich, das Leben in Buenos Aires, gehören zweifellos zur schönsten und intensivsten Zeit meines Lebens.

Binnen weniger Wochen ist meine Welt aus den Fugen geraten.

 

Ich habe gute Freunde gefunden, andere verloren. Gelacht, geweint, barfuß im Sommerregen in den Straßen von Buenos Aires getanzt.

Ich bin nicht drei Monate durch Brasilien gereist, wie ich es eigentlich vorhatte. Denn der Plan, den man macht, ändert sich immer. 

 

In diesen acht Monaten habe ich mich gleich mehrmals Hals über Kopf verliebt: in ein Land, eine Kultur, in eine Denkweise, eine Stadt. 

 

Und nicht zuletzt in einen waschechten Porteño. :-)

6 Fragen an Philipp

Philipp lebt schon seit ein paar Jahren in Buenos Aires. Er absolviert hier nicht einfach nur ein Auslandssemester, sondern sein gesamtes Studium.

1. An welcher Uni studierst du und was?

Ich studiere Kommunikationswissenschaften an der sozialwissenschaftlichen Fakultät der UBA. Ich bin jetzt im dritten Jahr,  werde aber wohl noch doppelt so lange brauchen.

2. Hast du alles selbst organisiert?

Ja. Ich habe per Telefon bei der argentinischen Botschaft in Berlin einen "cupo" für die UBA beantragt.

Lange Zeit stand nicht fest, ob ich die Zusage bekomme. Ich musste trotzdem schon den ganzen Papierkram erledigen. Die meisten Dokumente müssen international beglaubigt werden, weshalb alles dreimal so lange dauert.

Zum Glück war die Frau bei der Botschaft sehr nett und hat mir alles ausführlich erklärt.

3. Wie sieht dein Uni Alltag aus?

Recht entspannt :-)

Ich belege drei bis vier Fächer im Halbjahr, was für argentinische Verhältnisse schon recht viel ist. Jedoch arbeiten viele Studenten nebenbei, Teil-oder sogar Vollzeit. Ich bin zum Glück mit meiner Arbeit recht flexibel.

4. Teile deine Eindrücke mit uns!

Meine Eindrücke sind sehr gut. Mir gefällt an meiner Uni, dass die Leute sehr offen sind und Menschen verschiedener Nationalitäten, Schichten und politischer Ansichten harmonisch miteinander umgehen und sich respektieren, was leider in Argentinien viel zu selten der Fall ist.

Ich habe viele Leute kennengelernt, die sich nicht nur dafür interessieren, dass man Deutscher ist, sondern viel mehr Wert darauf legen wie man als Person ist.

Auch von Seite der Dozenten habe ich den Eindruck, dass man ausschließlich nach Leistung bewertet wird, nicht nach Nationalität oder anderen Kriterien (was in Argentinien nicht selbstverständlich ist).

5. Was nimmst du mit aus dem Studium?

Ich habe viele interessante Personen kennengelernt, mit anderen Lebensrealitäten. Am meisten beeindruckt hat mich, dass manche Studenten fast täglich zwei Stunden oder länger zur Uni fahren, und sich nicht mal darüber beschweren, im Gegenteil: Viele sehen die Möglichkeit studieren zu können als Privileg und nehmen deshalb gerne die Fahrt auf sich.

Davon könnten sich wohl viele Deutsche, mich eingeschlossen, eine Scheibe abschneiden.

6. Deine Tipps für das perfekte Auslandssemster in Argentinien?

Nicht zu viel im Voraus planen, weil es am Ende eh anders kommt und man sonst verzweifeln würde.

Vielen Dank, lieber Philipp, dass Du Deine Eindrücke mit uns teilst :-)

Im dritten Teil erzählt Giulia von ihrem Auslandssemester an der Universidad Nacional de San Martín.

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Kommentare: 3
  • #1

    San Martín (Donnerstag, 29 November 2018 04:28)

    Akademisches Niveau sehr hoch?!
    Da habe ich ganz Anderes gehört!
    Fehlende Quellen, oberflächliche Leistungsüberprüfung, unwissenschaftliches Arbeiten.
    Meine Freundin ist aus Enttäuschung über diese Laisser-faire-Mentalität nach einem halben Jahr wieder abgereist um die Zeit nicht weiterhin zu verschwenden...Vor allem in nicht naturwissenschaftlichen Bereichen, sollte besonders viel Wert auf wissenschaftliche Arbeitsmethoden gelegt werden, was leider in Argentinien (nicht nur an der UBA) oftmals nicht der Fall ist.

    Ich denke, viele Ausländer lassen sich in Buenos Aires von der mitreissenden Stimmung beeinflussen (es ist wirklich wunderschön in dieser Stadt und die Leute heissen einen mit offenem Herzen willkommen) und können dann nicht mehr objektiv beurteilen, dass wirkliche Qualität im akademischen Bereich nicht unbedingt etwas mit hitzigen Diskussionen, freundschaftlichem Umgangston und anschaulichen Beispielen zu tun haben muss.
    Ich kann aber dieses Erleben gut nachvollziehen, habe ich selbst auch einen Einblick in den Unialltag in Argentinien erhalten dürfen.
    Das wichtigste an allem ist wohl, dass man so einen Einblick in die Kultur eines Landes erhält und Erfahrungen sammelt, welche einen das ganze Leben lang begleiten werden.

  • #2

    San Martín (Donnerstag, 29 November 2018 04:29)

    Sorry, weiss nicht weshalb der Kommentar doppelt gesendet wurde ;)

  • #3

    Argentinien24/7 (Donnerstag, 29 November 2018 07:08)

    Hallo Heiliger Martín,

    vielen Dank für das Teilen deiner Eindrücke bzw. der deiner Freundin. Schade, dass es ihr nicht gefallen hat.

    Du schreibst "dass wirkliche Qualität im akademischen Bereich nicht unbedingt etwas mit hitzigen Diskussionen, freundschaftlichem Umgangston und anschaulichen Beispielen zu tun haben muss." Damit hast du Recht, muss nicht unbedingt, ist ja in Deutschland auch nicht der Fall (war es nicht in den Studiengängen, die ich studierte). An der UBA habe ich beides erlebt. Wobei ich nicht das Gefühl hatte, dass das wissenschaftliche Niveau darunter litt. Aber das hängt mit Sicherheit auch von den Kursen ab, die man wählt. Auch in Deutschland ist der akademische Anspruch ja nicht in jedem Seminar gleich. Ich habe auch von jemandem gehört, der mit seiner materia nicht zufrieden war, da nicht in gleichem Maße wissenschaftlich gearbeitet wurde wie in Deutschland (Stichwort fehlende Quellen). Ich ziehe aus meinem Auslandssemester andere Schlüsse als jene Person, die bestimmt kein derart positives Fazit daraus gezogen hätte.
    Wie du auch geschrieben hast, das wichtigste sind letzten Endes die Erfahrungen, die man macht, all die Einblicke und Erlebnisse, die einem niemand mehr nehmen kann.

    Grüße aus Buenos Aires
    Simone