Abschied von Gott

 

Dass Covid noch in diesem Jahr einmal nicht die Hauptrolle spielen würde, das schafft nur eine Person: Diego Armando Maradona. Am Mittwoch ist der argentinische Fußballgott im Alter von 60 Jahren gestorben. Argentinien, Neapel und die Welt nehmen Abschied.

 

 

Ich war gerade in einem virtuellen Meeting, als die erste Whatsapp-Nachricht aus Argentinien eintrudelte.

„Che“, stand dort, „Maradona ist gestorben.“

Fassungslos starrte ich die Buchstaben an, die so recht keinen Sinn ergeben wollten. Es dauerte einige Minuten, bis ich meine Sprache wiederfand. Nicht etwa, weil Diego in meinem Leben eine besondere Rolle gespielt hätte, wohlwissend aber, was er für viele Argentinier bedeutet.

„No paro de llorar“ – Ich kann nicht aufhören zu weinen. Eine knappe Stunde, bevor in den deutschen Medien etwas über seinen Tod berichtet wurde, stand mein Smartphone nicht mehr still. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

 

Die sterblichen Überreste Maradonas wurden für die öffentliche Trauerfeier ins Regierungsgebäude Casa Rosada gebracht, damit die Menschen ihm ein letztes Lebewohl sagen konnten. Natürlich unter Einhaltung der Corona-Regeln. So zumindest in der Theorie.

Die Regierung verordnete drei Tage Staatstrauer. Und das geschieht in Argentinien nicht im Stillen, sondern mit Ach und Krach.

In Buenos Aires herrscht Ausnahmezustand, so wie man das von der argentinischen Hauptstadt eben kennt.

 

 

Abstand und Masken haben beim kollektiven Trauern nichts zu suchen. Seit Mittwoch ist Covid-Pause in Argentinien, auch in den Medien. Fast 8 Monate Ausgangssperre wurden mehr oder weniger hingenommen. Aber dass die Tore des rosafarbenen Regierungspalastes nach 10 Stunden wieder schließen sollten, das ist ein Unding. Und von Undingen lassen sich Argentinier nicht aufhalten, schon gar nicht, wenn es um Diego geht.

„Sturm auf die Bastille“ schreibt ein Freund über die Massen, die versuchen, in die Casa Rosada einzudringen, um einen Blick auf Maradonas Leichnam zu werfen, dessen Göttlichkeit bereits mit seiner Rückennummer gegeben war: D10S – Dios.

 

 

Die Polizei geht mit Wasserwerfern und Gummigeschossen gegen die Menschen vor, die wiederum mit Steinen antworten.

Auf der Avenida de Mayo brutzeln Chorizo-Würste auf dem Grill, dazwischen Trommeln, Geschrei und Wasserfälle aus Tränen.

Das quilombo – wie man in Argentinien zum Chaos sagt – hat die Straßen der Hauptstadt fest im Griff.

Die Menschen kommen von weither angereist, um Abschied zu nehmen und sich zu bedanken. Bei jemandem, der ihnen Kraft und Mut gab, der vorlebte, dass man es auch von ganz unten nach ganz oben schaffen kann.

 

 

„Ich bin mit den Geschichten von Maradona aufgewachsen, er war immer präsent in meinem Leben. Es fühlt sich seltsam an, dass plötzlich etwas nicht mehr da sein soll, das dich immer begleitete“, lautet eine weitere Whatsapp-Nachricht.

Dann der Anruf einer Freundin:

 

„Es gibt so viele Geschichten von und über Diego. Tausend Leben in einem. Diego steht für so vieles. Er ist eine Ikone, nicht nur wegen des Fußballs, auch menschlich. Ein Charismatiker, der sich viel erlaubt. Und dem man nach einem Augenzwinkern direkt in die Kamera alles verzeihen muss. Er ist keineswegs perfekt, kein 'Vorbild der Moral', und nicht auf dem idyllischen Hof der Ingalls aus 'Unsere kleine Farm' aufgewachsen, gerade das macht ihn zu einem Idol für die breite Masse. Er vereint viele typische Eigenschaften eines Argentiniers (und auch Napolitaners). Der Urtyp eines Argentiniers, den wir alle in uns tragen. Diego hätte nirgendwo anders zu Welt kommen können als in Argentinien oder in Neapel. Und deswegen kann ich nicht aufhören zu weinen.“ Schniefend fügt sie hinzu, dass sie es noch nicht schaffe, in der Vergangenheit von ihm zu sprechen. Dafür sei es noch zu früh.

 

 

Ein Bild aus einer argentinischen Tageszeitung geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Darauf zu sehen sind ein schluchzender River- und ein Boca-Fan in innigster Umarmung.

Selbst post mortem macht er das Unmögliche möglich, der argentinische Fußballgott.

Dabei ist er ja eigentlich gar nicht tot. Er darf es sich nun in der Ewigkeit direkt neben Gardel und Evita gemütlich machen.

QEPD, eterno Diego!

 

Mehr über den Personenkult um Diego Armando Maradona kannst Du auch in meinem Buch "111 Gründe, Argentinien zu lieben" nachlesen.

Alle Fotos in diesem Artikel stammen von meinem Reiseleiterkumpanen Christian Piarowski. Er lebt seit über 10 Jahren in Buenos Aires und ist ein wandelndes Argentinien-Lexikon. Und auch menschlich hat er's drauf. Als einer meiner Reiseteilnehmer unerwartet schwer erkrankte und operiert werden musste, und ich mit den Nerven ziemlich durch war, stand Christian mir mit Rat und Tat und einem guten Rotwein in einer düsteren Spelunke am Ende der Welt beiseite.

Danke dafür und für die Fotos. Auf ein baldiges Asado in Buenos Aires!

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