Schöne neue Welt: Puerto Madero & Reserva Ecológica

Buenos Aires ist eine Stadt der Kontraste. Einen der ältesten Stadtteile habe ich Dir schon vorgestellt. Lass uns heute einen Spaziergang durch das jüngste Viertel machen!

Ich überschreite eine eigentlich unsichtbare Grenze. Eine Grenze, die es so nicht gibt. Die aber so markant ist, dass sie jedem auffällt.

 

Heute ist diese Grenze besonders präsent: Da ist eine Demonstration, überall Polizei, die den Verkehr umzuleiten versucht. Viele der Demonstranten sitzen auf dem Boden und nagen an einem Hühnchen oder essen Reis mit den Händen.

„Bis hierher und nicht weiter“ scheint in dem Boden eingraviert zu sein. Keiner überschreitet diese Grenze. Dadurch wirkt sie imposanter, eindringlicher.

Ich bahne mir einen Weg durch die Grüppchen. Und lasse eine Millionen Metropole hinter mir.

Plötzlich ist es ganz ruhig, jegliche Geräusche werden gedimmt. Dieser öffentliche Raum ist vom Rest abgeschlossen. Die Autos fahren gemächlicher, halten am Zebrastreifen und lassen Fußgänger passieren.

 

Die sozialen Probleme werden hinter die Grenze verschoben, hier hat man sich eine heile Welt aufgebaut. In dieser Welt gibt es Aufzüge für das Personal, in denen auch der Müll transportiert wird, und Aufzüge aus Marmor für die Menschen, die hier wohnen. Artifizielle Materialwelt. Es geht ums Besitzen.

Am Eingang eines jeden Gebäudes steht ein kleines Häuschen mit verspiegelten Fenstern. Dort sitzt Big Brother vor einer Vielzahl von Kameras. „Name? Zu wem möchtest Du? Bist Du angemeldet?“ Ich gebe die Daten durch. Besagte Person wird angerufen und bestätigt den Besuch. Mich überrascht, dass es keinen extra Besucheraufzug gibt. Ich soll denselben wie die Bewohner nutzen.

 

Schlüssellose Welt. Hier werden alle Türen mit Codes geöffnet.

 

Ich stehe in der Küche vor einem riesen Panoramafenster. Weit unter mir die Stadt. Chaotisches Häusermeer; ich weiß, wie es dort in den Straßen zugeht. Aber in diesem Moment bin ich so weit weg, bin nicht Teil des großen Chaos. Da ist das Naturreservat, durch das Menschen aus beiden Welten hindurchgehen, dann der Fluss, am Horizont schemenhaft die Gebäude Uruguays.

„Eine Limo mit Ingwer?“ Ich blicke in große, braune Augen und fühle mich der Haushaltshilfe sehr verbunden, möchte mit ihr den Angestelltenaufzug benutzen.

 

Hier rennt man im Gegensatz zu Recoleta oder Palermo nicht der neusten Mode hinterher, selbst das scheint nicht zu dieser Welt zu gehören. Man besitzt einfach schon.

 

Puerto Madero ist die Neuerfindung von Buenos Aires.

 

Die Stadt legt sich eine Maske an, präsentiert sich so, wie sie in manchen Augen sein möchte. Ein Wintergarten.

 „Das ist typisch für Buenos Aires: sich europäisch zu glauben und alles Lateinamerikanische abzulehnen“, so der Geschichtswissenschaftler Félix Luna. Letzteres wird in Puerto Madero nur allzu deutlich.

 

Ich muss gestehen, mit Puerto Madero kann ich nicht viel anfangen. Das Stadtviertel könnte auch in jeder anderen x-beliebigen Großstadt sein. Charakter und Charme wie andere Viertel von Buenos Aires hat es wenig. Dafür umso mehr Geld. Dementsprechend teuer sind hier auch die Mieten und Restaurants. Die modernen Wolkenkratzer ragen lieblos in den blauen Himmel.

Eine Welt aus Glitzer und Glamour. Ein Hochhaus verdoppelt sich im Nachbarhaus. Alles verglast, alles verspiegelt, alles blitzblank. Eine künstliche Welt des künstlichen Lächelns.

 

Das andere Buenos Aires -  perfekte Welt. Glänzender Prototyp der Modernität.

 

Gleich daneben Streiks, Demonstrationen, Verkehrschaos, Menschen ohne Dach über dem Kopf. Doch davon bekommt man hier nichts mit.

 

Dennoch, ein Besuch lohnt sich!

Besonders zum Spazierengehen, Ruhe finden und Fotografieren  ist das Viertel schön. Ich komme hierher, wenn ich Auszeit von der Stadt brauche. Oder zum Radfahren, denn das ist in Puerto Madero um einiges angenehmer als im Trubel des Zentrums oder den schmalen Straßen San Telmos.

So wurde Puerto Madero zu dem, was es heute ist

1882 wurde der Architekt Eduardo Madero damit beauftrag, einen neuen Hafen für die Stadt zu entwerfen, da die Schiffe wegen der geringen Wassertiefe des Río de la Plata nicht am Hafen anlegen konnten. Weit draußen auf dem Fluss musste die Fracht umständlich auf Fähren umgeladen werden.

15 Jahre später war der Bau des Hafens beendet. Allerdings stand die Entwicklung des Schiffbaus nicht still. Es wurden immer größere Schiffe gebaut und gerade mal zehn Jahre nach seiner Einweihung war der Hafen schon veraltet und überholt. Die neuen, größeren Schiffe konnten dort nicht anlegen.

Also wurde Luis Huergo mit dem Bau des Puerto Nuevo (Neuer Hafen) beauftragt. Dieser Hafen wurde 1911 fertig gestellt und wird bis heute genutzt. Puerto Madero geriet in Vergessenheit und verfiel zunehmend. Es wurde zwar immer wieder darüber diskutiert, dass und wie man den alten Hafen zum Leben erwecken könnte. Konkret wurden diese Pläne aber erst im November 1989, als das Ministerium für Arbeit und Öffentliche Dienste einen Vertrag aufsetzte, der die Urbanisierung Puerto Maderos zum Ziel hatte.

Auf den 170 Hektar entstanden zahlreiche Wohnungen, Lofts, Bürogebäude, Restaurants und Parkanlagen. An der Neugestaltung waren einige international bekannte Architekten beteiligt.

In den 2000er Jahren wurden zahlreiche Wolkenkratzer gebaut und als Wohn-oder Büroraum zur Verfügung gestellt – für die, die es sich leisten können. Nirgendwo in Buenos Aires ragen so viele Kräne in den blauen Himmel wie in Puerto Madero. Der ehemalige Hafen ist heute ein exklusives Wohn-, Gastronomie- und Geschäftsviertel.

 

Die höchsten Gebäude der Stadt sind (noch) die zwei Torre Renoir: 175 m hoch, 98 Appartements, fast 50 Stockwerke. 60% der Mieter und Eigentümer sind Ausländer. Von hier sieht man an klaren Tagen bis Uruguay. Auf der anderen Seite erstreckt sich Buenos Aires untertänig bis zum Horizont.

Doch den Superlativ „höchstes Gebäude“ sind die Türme bald los: Der Alvear Tower, der in diesem Jahr fertig gebaut werden soll, überragt sie mit einer Höhe von 235 Metern. Der Quadratmeter kostet hier schlappe 7500 USD.

Alan Faena, der „Mann in Weiß“, propagiert diese fröhliche Welt der geschminkten Möglichkeiten.

„Ich gehe nur selten nach Buenos Aires. Hier in Puerto Madero regeln wir alle Einkäufe über das Internet.“

Der Geschäftsmann hat maßgeblich dazu beigetragen, Puerto Madero wieder aufzubauen und zu dem zu machen, was es heute ist. Unter anderem lies er zusammen mit dem französischen Architekten Phillippe Starck einen ehemaligen Getreidespeicher in einen luxuriösen Hotelkomplex umbauen: Faena – eine „urbane Oase“. Um das Wohl der Gäste kümmert sich ein persönlicher Assistent, „experience manager“ genannt.

Nein, unsichtbar ist die Grenze zwischen Buenos Aires und Puerto Madero wirklich nicht.

Trotz dieser Grenze ist Puerto Madero ein Teil der Stadt geworden, ein Teil der jüngsten Baugeschichte. Ein Teil der Kontraste, die Buenos Aires ausmachen.

Wer Buenos Aires mit all diesen Gegenätzen kennenlernen will, sollte sowohl den ärmeren Vierteln im Süden als auch Puerto Madero und den wohlhabenderen Vierteln im Norden der Stadt einen Besuch abstatten.

Eine Besonderheit des Viertels und einzigartig in Buenos Aires ist, dass alle Straßen nach Frauen benannt sind.

In Puerto Madero gibt es einige interessante Museen, Skulpturen und architektonische Schönheiten zu bestaunen, gute Restaurants, am Wochenende einen schönen Markt an der Costanera Sur, einer Flaniermeile entlang der Reserva Ecológica. Wer es gern ein bisschen rustikaler hat, gönnt sich hier einen leckeren Burger oder Choripán (argentische Chorizo Wurst im Brötchen).

Reserva Ecológica

An Puerto Madero grenzt die Reserva Ecológica, ein 350 Hektar großes Ökoreservat, an. Ein wunderbarer Ort, um abzuschalten, runterzukommen, die Seele baumeln zu lassen, Vögel zu beobachten, den endlos scheinenden Fluss zu genießen.

Bis 1950 war hier ein öffentliches Flussbad. Die zunehmende Wassersverschmutzung führte zur Schließung des Schwimmbads und zum allgemeinen Badeverbot im Río de la Plata in Buenos Aires.

In den 1970er Jahren wurden viele Schnellstraßen in Buenos Aires gebaut. Der Schutt der abgerissenen Häuser wurde mit dem Ziel der Landgewinnung in den Río de la Plata gekippt.

Im Laufe der Zeit entstand dort festes Land, zahlreiche Bäume und Sträucher begannen wild zu wuchern und die Gegend für sich einzunehmen: die Geburtsstunde der Reserva Ecológica. Seit 1986 steht das Gebiet unter Schutz und ist heute unter anderem Heimat von Papageien, Enten, Fledermäusen, Reihern, Biberratten, Fröschen, Eidechsen und Schlangen. Mit einer Schlange hatte ich letzte Woche erst eine Begegnung und habe gelernt, beim Radfahren besser auf den Weg zu achten. :-)

Beim Betreten erfreut intensiver Blütenduft meine Stadtnase. Die Vögel zwitschern. Ich streife den stressigen Alltag ab wie die Schlange ihre Haut. Die Hochhäuser sind bald sind nicht mehr in Sicht, das Stadtchaos habe ich gefühlt weit hinter mir gelassen. Das ist natürlich nicht mit einem Waldspaziergang zu vergleichen, aber für so eine große Stadt doch eine wunderbare Sache!

 

Entlang des Río de la Plata gibt es viele Bänke und Aussichtspunkte, die zum Verweilen einladen. Sich ins Gras legen, in den Himmel schauen und den Wellen zuhören – da vergisst man schnell, dass man nicht am Meer ist. Am Wochenende bei Schönwetter gleichen die Wege oft einer Völkerwanderung. Sportler, Ornithologen, Fotografen, Spaziergänger, Genießer. Jeder will der Stadt für ein paar Stunden entkommen. Unter der Woche ist man nicht selten fast allein unterwegs.

Es gibt zwei Eingänge, einen im Süden, die Verlängerung der Estados Unidos Straße (auch wenn der Eingang nach der Brasil Straße benannt ist) und einen im Norden, die Córdoba Straße. Am nördlichen Eingang kann man Fahrräder mieten. Die Reserva ist jeden Tag von 8-18 Uhr (April-Oktober) bzw. von 8-19 Uhr (Oktober-April) geöffnet. Bei Regen und Sturm ist sie geschlossen. Nach heftigen Regenfällen ist Radfahren für einige Zeit nicht gestattet, um die Wege nicht zu zerstören.

 

Na, hast Du Lust auf Sightseeing in Puerto Madero bekommen? Dann schau mal hier vorbei.

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Kommentare: 4
  • #1

    Rosemarie (Donnerstag, 11 Mai 2017 15:28)

    Ein wunderbarer Bericht! Deine Fotos sind super .Ich freue mich an deinen Entdeckungen teilhaben zu dürfen

  • #2

    Argentinien24/7 (Donnerstag, 11 Mai 2017 18:43)

    Vielen lieben Dank! Freut mich, dass Dir die Berichte und Fotos gefallen :-)

  • #3

    Stefanie (Samstag, 27 Mai 2017 09:59)

    Wieder mal ein wunderbarer Einblick in die Stadt der großen Konstraste! Vielen Dank dafür :)

  • #4

    Argentinien24/7 (Sonntag, 28 Mai 2017 07:02)

    Danke, liebe Stephanie :) Freut mich, dass Dir der Artikel gefällt!